muenchhausen-by-proxy
holzcity. im baumarkt vor den schrauben. ein skin mit fluoreszierendem headset spricht anscheinend mit seiner besseren haelfte. die stimme ist auffallend leise. `miss es bitte nochmal aus, schatz.` er stellt ein bein federnd auf die warenablage, laesst sie nachgeben. seine kopfhaut glaenzt nicht, sie wirkt matt und gepudert. abgeflachter hinterkopf. seine mutter hat ihn als baby nicht genug auf die seiten gedreht. ich fahre das regal dicht neben ihm ab. greife verpackungen heraus. im hintergrund ziehen kunden drahtkabel von der trommel, nehmen mass, kneifen gewuenschte laengen ab. der geruch im markt ist charakteristisch. jeder mitarbeiter hat bereits nach wochen kopfschmerzen. ich ueberhole den skin und hoere ihm jetzt mit dem ruecken zu. ein endlosvideo erklaert leierrnd duebelsorten, versperrt mir den telefoninhalt. sein schatz beginnt vielleicht zu weinen. `beruhig dich.` der tonfall des skins wird unertraeglich sanft. macht uns zuhoerer im gang befangen. selbst der abteilungsleiter, der hinzugetreten ist, zieht ein fragendes gesicht und verschwindet wieder.
als ich beginne das interesse zu verlieren, bricht ploetzlich das schraubenregal entzwei. fluegel, kaefig und hut-muttern. triwing, sechskant, phillipsschrauben. vierzig sorten stuerzen auf den abwaschbaren boden.
der skin und ich springen zurueck. eine kettenreaktion. regalwaende kippen von uns weg, legen sich schiebend gegeneinander. hobel und bohrmaschinen gleiten von ihnen ab. begraben ahnungslose unter sich. schreie mischen sich unter das stahlkonzert. die neonroehren fallen aus. ich fuehle, wie mich eisenwaren streifen. dann sehe ich das schwache licht an seinem schaedel. dankbar folge ich dem skin. lege mich geschmeidig in die kurven. reisse mir beim stolpern die kleidung auf. renne dem gluehwuermchen hinterher. es aendert sein tempo andauernd und boshaft. die regale fallen immernoch. dumpfe dunkelheit. menschen weinen um eingeklemmte koerperteile und zerdrueckte freunde. sie bedauern tiefe einschnitte. soetwas passiert doch nur im film und im ausland. in kasachstan zum beispiel. eine lautsprecherstimme bittet um das bewahren der ruhe. die folgende rueckkopplung laesst dutzende von armen synchron zu den ohren greifen. beissender geruch erreicht mich. feuerfarne wachsen an den wellblechwaenden. cobaltblauer plastikrauch legt sich als firnis auf die haut. lackverbrannte ohnmachtsangst. das headsetlicht versinkt. ich steige ueber menschenberge. fuehle haende an den hosenbeinen zerren. in panik wird gelacht.
draussen sirenen. hoffnung auf rettungswagen, wie kinder auf den eismann. hinlaufen. klimpernde groschen in der hand. auch wenn er nur drei aufgetaute sorten hat. es schmeckt, weil es anders ist. woher kommt dieses ploetzliche sommergefuehl? ich weiss nicht, ob ich noch in bewegung bin und muss an ambrose bierce denken. dann sehe ich das kleine licht doch noch. es scheint aufzusteigen, als haette der skin sich emporgeworfen. seine staerke aus der ernaehrung des helden. bier oder wasser. verschiedene wege zum selben ziel. alles eine aneinanderreihung. es wird mir zu bewusst. selbst auf der flucht finde ich zeit fuer widerspureche: ich lenke meinen koerper nicht geschickt genug. an einem berg aus umgeworfenen rasenmaehern muss ich halten. die klingen drehen sich hitzethermisch. unfaelle sind unsere luxuskriege, denke ich. wir ueberlebenden sammeln uns an dieser letzten barriere und schauen uns an, suchen nach loesungen und einem anfuehrer, der deutliche worte spricht. `ich habe damals ueber den elften september und seine bildgewalt gestaunt.`sagt eine frau weinend und unaufgefordert neben mir. `diese zu boden stuerzenden koerper mit angstkreisenden armen.`sie beisst achtlos ihre lippe auf. `als sei das fluegelschlagen ein ausdruck des lebens und nicht des sterbens.` zum ersten mal an diesem vormittag bin ich ueberrascht. [pn]
Kategorie: junkieausrede
Schlagworte: dystopie
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