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die stille kassandra

hinter mir das stuehleruecken, vor mir die scheibe, dahinter ein platz. wurde ich gedreht, ohne es zu bemerken? in den knien wieder schmerzen, vom anwinkeln und strecken. ich gehe nicht zum arzt. ich habe aerzte satt.selbst das wort irritiert mich, die hilfe nehme ich nur noch im notfall in anspruch, das erkennen faellt schwer, viel schwerer als sonst. wo genau liegt der punkt der wiederkehr, der moeglichkeit, der suessen. ich befinde mich an der harten grenze dieser frage, die scheibe schweigt. klopfen von schritten, mehr menschen treten ein, immer herein, die schmerzen im kopf werden nicht mehr schlimmer.

auf den roten steinen draussen sitzen tauben, weiss und grau auf rot. hier drinnen stinkt es nach comfort und schlechtem kaffeepulver, obwohl er unter dampf gepresst wird, ausgeklopft und eingefuellt. die tassen schwer, dies ist ein gutes zeichen, sie halten temperaturen angemessen. vorsicht beim blicken, die gaeste sind beschaeftigt, halten inne, haben muehe in dem grossen raum. kugelleuchten haengen von der decke, wir haengen auf dem boden. ihr durchmesser entspricht unserem abstand beim gespraech. ich brauche keine sorgen mehr, keine quadergestalten, sehne mich nach einem EEG. presse die hand in mein gesicht, in einer frequenz, die ein trugbild eines denkers erzeugt. beim letzten bild klappe ich mein bein aus, es knackt, die muecken tanzen vor mir, in mir, in meinen augen. aufgerissen bis zum anschlag, eingeschlafen die seele. niemandem befohlen, dass er mich wecken soll.

in der platzmitte eine erhebung, ergebniss einer flucht gen osten, ein brueckenschlag ueber den fluss mit namen rhein. eisenbahnen unter dampf, nicht mehr, ich luege, nur noch elektrische entladungen. jetzt ist es hell, nur das geraeusch ist hoerbar, nicht der funkenschlag. ich warte auf kassandra. sie soll nicht sprechen, sie spricht nicht. sie ist ganz still mit ihren hellen ellenbogen, ihr nacken kalt, der blick faellt an mir vorbei. das zoegern meinerseits, als sie hereintritt ist zur abwechslung echt, innerlich stehe ich auf, will sie begruessen, bleibe doch sitzen, drehe das buch um auf dem kaffeetisch, das ich gelesen hatte. sie traegt heute anthrazit, ich mag das wort mehr, als die farbe. kassandra bleckt die zaehne , giert durch den raum, an den anderen tischen vorbei, sie weiss , dass sie gesehen wird. geisterhaende liegen auf ihr und ihren nackten waden. beim durchqueren dieser kleinen halle, bleibt sie an einem tisch kurz haften und drueckt mit drehung ihres handgelenks die zigarette aus. blaest den rauch nach oben, wir, die zuschauer steigen mit ihm auf, bis an die decke, nur um eine neue perspektive ihrer schoenheit zu erhalten. augenblicklich bricht die aufmerksamkeit auf, jeder ist zurueckgefallen, auch ich. die geschwindigkeit, die verlangsamt worden ist wird aufgeholt, eingeholt , ueberdreht. die geraeusche schwellen wieder an, sie gruesst mich, ich stehe halb auf, druecke ihre hand zu fest. wir beide haben es gemerkt. sie setzt sich. ich habe mir bereits vor stunden vorgenommen, dass nicht ich anfangen werde etwas zu sagen. jetzt staut sich meine anspannung, kassandra hat es nicht so eilig. als sie die tasse hochnimmt und an meinem kaffee nippt hoere ich mich sprechen, er sei schon kalt. ich sehe sie an, weil ich sie haben will. sie macht es kurz und sagt, es kaemen wolken durch die fensterscheibe. ich weiss, dass sie die sonne meint. ich sehe, wie sie den kellner heranwinkt.

[ kassandra hat ein muttermal auf dem linken schulterblatt. es hat keine gegenstaendliche form, auch nicht die form eines landes oder einer anderen direkten assoziation. ich werde es trotzdem nicht vergessen und koennte es jederzeit zeichnen ]

das notebook ist heruntergefallen, es ist nichts herausgebrochen. auf den ersten blick scheint es keine veraenderung an dem geraet zu geben. mit zornesschamesroete hebe ich es auf und glaette die situation. die passagiere sollen sich wieder mit sich beschaeftigen. ich denke an datensicherung und meine zittrigen haende. setze mich wieder, stecke den computer in die tasche zurueck. jetzt nach den schaeden zu schauen waere ein unpassender hoehepunkt meiner vorstellung. sollen sie doch an der neugier ersticken. die u-bahn faehrt in einen bahnhof ein. mehr menschen steigen ein, es ist heiss, selbst im november. ich habe durst. ich hasse oeffentliche verkehrsmittel, vor allem, wenn ich sie ohne ziel benutze.

das gerede ist zu laut, die farben der einrichtung erzeugen stress, kreischen mich an. an der naechsten station steige ich aus, ohne zu wissen , wo ich mich befinde. an der oberflaeche stehen hohe haeuser, endlich. ich bleibe stehen und zaehle die stockwerke. einundzwanzig, so viele querstrassen werde ich kreuzen und dann nach geschmack abbiegen. meine muedigkeit ist niederschmetternd und irritierend. ich habe sechszehn stunden geschlafen, gedoest und hin und hergedreht. woher kommt sie? nimmt mir meine konzentration, zeigt mir wie lustlos ich bin, wie gewalthungrig, abgestumpft. der asphalt ist reines grau, neue organische wagen stehen an der strasse. wenige passanten. hier werde ich nichts fuer meine absolution tun koennen. der gedanke macht mir spass, ist jedoch kein ansporn mich richtig zu verhalten. eigentlich haette ich viele dinge zu erledigen, buerokratische und persoenliche, sie wuerden mir helfen und mich naeher an die herbeigesehnte struktur, die nur abstrakt beim ausbleiben geschaetzt wird, bringen. stress durch arbeit, stress durch fehlende beschaeftigung. durch uebermass und untertreibung. wind schlaegt um die ecke.

[ zwist und trockenheit. wie viele stimmen koennen einen menschen toeten. die perfekte waffe wurde einmal von den geheimdiensten im kalten krieg gesucht. experten haben geforscht, ob es moeglich waere durch eine bestimmte frequenz und erzeugung einer schwingung durch das telefon menschen zu schaden. der perfekte anschlag. ein mensch nimmt einen hoerer ab und faellt augenblicklich um oder verliert den verstand ]

es knackt beim kauen. auch in der nacht, wenn ich mit den zaehnen knirsche. meine zaehne leiden. an die vorstellung eine kauschiene aus plastik anzulegen, kann ich mich nicht gewoehnen. sie sagte mir, dass es ihr aufgefallen waere in der nacht. ich haette geredet. ich frage mich nach dem inhalt. meine schwester sagte mir einmal, ich wuerde im schlaf singen. das mochte ich nicht. mir selbst machte es immer angst, wenn anwesende im traum gesprochen haben. so klingen tote. so empfindsam, dass mir schlecht wird.

ich wuerde mir gerne das gesicht waschen, doch soviel kaltes wasser gibt es nicht. es kommt nicht aus der leitung, ist in keinem fluss oder meer zu finden. das gesicht brennt, wie nach einer chemischen attacke, aus dem dunkeln heraus, aus dem hinterhalt. ich frage mich, wie sehr ich mich infrage stellen kann. wieviel ist notwendig? wieviel gesund? mein zustand laesst mich herumgehen, in den strassen finde ich nichts, was mich beruehrt. habe gefuehle verlernt. an dem gefaengnis mitgebaut, in dem ich insasse und waerter bin. der direktor schlaeft. er laesst uns spielen, uns quaelen. bis die grauen haare kommen, die besorgungen sich von alleine erledigen, in der erde ist es kuehl, das tut der haut gut. dort schlaegt das herz nicht so schnell, es ist ertragbar. ich schreibe keine briefe, gehe nicht an das telefon, lege es unter decken, damit ich das klingeln nicht hoeren muss, zu feige es auszuschalten.

in der strasse malen sie die haeuser an.der ameisenstaat pulsiert. lastwagen fahren, bringen den billigen wein, das obst, das aus glas oder plastik geformt ist. nicht zum verzehr geeignet. wie oft trifft dies auf menschen zu, wie oft wurde dieser gedanke ueber mich verfasst. in den schaedeln traumata, in den haenden gewichte, in den augen sehnsucht. folgen, fangen, festhalten. ovid singt seine lieder bis in unser ohr. es juckt, dann kratzt man halt. ich beherrsche mich, im kaputtschlagen war ich meister, habe lust auf plexiglas. jedes material hat eine schwachstelle, vor allem der sack seele. unfoermig liegt er irgendwo im hirn. ein punkt, ein nervengeflecht. zum heulen schoen, wir die strommenschen. stroh. bloss keine feuer und wenn ja, dann sollen sie lodern mit sicherheitsabstand. ich bin einer von den verwirrten geworden? gemacht habe ich mich selbst dazu. kognition, der naechste schritt.

an der bahnschranke vorbei, dies ist nur ein lebensmittelgeschaeft auf der linken seite. schluesselgeklapper. hinein und gluecklich kaufen. so schrott und eintoenig diese haltung. zu einfach gedacht, nicht zuende gefuehrt. nichts zuende gefuehrt. draussen kippen die menschen die koepfe. ich sehe eine schoene frau und habe nichts davon. ich trinke einen kaffee, bekomme magenschmerzen. in mir rumort es.

kassandra hat stil. dies laesst sich behaupten, deshalb tue ich es. sie bewegt sich wie eine gazelle. eine frau sollte sich bewegen koennen. ich recherchiere in mir. ich nur kern, lernte sie kennen, als sie an einer strassenecke stand. sie fragte mich nach dem weg. mich fragte jemand nach dem weg. ich wurde herausgerissen aus der starre, sie stand mit eingenickter huefte, asynchron und sagte nichts. als ich den mund oeffnete, fuehlte ich mich, als haette ich staub gegessen. ich konnte ihr nicht helfen. dann gab es eine kunstpause, die zu lang dauerte. da ich nichts mehr sagte , ging sie, hinter ihr folgten marionetten.

[ die sterne stuerben einen tod ,alle gleich, alle. der himmel machte blind ]

ich erhole mich, so scheint es. alles spielt sich auf der strasse ab. in den wohnboxen ist es still. sehen wir uns heute? ins kino, ins cafe, ins nirgendwo. verplempern unsere zeit. vielleicht. vielleicht auch nicht. der drang zu leben, auch mit abgebissenen beinen. im museumscafe eine horde auslaendischer kinder. hunderte. alle essen apfelstrudel mit sahne. trinken mocca. die lehrer nicken und wechseln sich mit der aufsicht ab, so koennen sie abwechselnd die lang ersehnte zigarette rauchen. um die ecke gehen sie hierzu, oder im anflug einer schwaeche, drehen sie sich weg von den kindern, die schon rauchen. die zigaretten viel zu lang fuer ihre finger. sehen aus wie teleskope. das geschrei schlaegt wie wellen an mich heran. dort wo ein keim fuer einen gedanken lag, fahren jetzt bulldozer.

[trugschluss: lass den ofen doch offen, das ist eine heizung, die nichts kostet.]

kassandra steckt sich die haare hoch. komisch, dass ich dabei an eine andere denken muss. die geste ist aehnlich, grundverschiedene menschen. tauche ich in fremden traeumen auf ? wieso fuehle ich es nicht, wenn an mich gedacht wird? weil ich an niemanden denke? das stimmt irgendwie nicht. ich tue es, aber nur, als haette ich eine karte gezogen und sie angeschaut. selbst der versuch, mir diese zu merken ist blanker hohn. ich ich ich, so einfaeltig ist meine welt. ich GLAUBE heisst es richtig, stattdessen benutzen beinah alle, ich DENKE , was eine uebertreibung ist.

sanftes ventilatorengeraeusch. wo sind wir? es ist beliebig und scheinbar austauschbar. so selten finde ich einen haken zum festhalten, ich stolpere ins tal mit zu hoher geschwindigkeit. kassandra hat dunkle augen, keine bestimmte farbe. sie fragt mit ihnen, obwohl sie den kopf dabei schuettelt, oder wenn man sie fragt, was sie wissen moechte. es erscheint nur, sie durchdringt, dass loest den reflex aus, eine abwehrhaltung. sie raucht nicht mehr, zieht aber oft an einer meiner zigaretten. dafuer rauche ich fuer uns beide. spaeter gehen wir spazieren, der herbst ist dieses jahr mild und unaufdringlich. wir sind kein paar, sehen anderen zu.

[auf einer photographie sieht man keine bewegungen. in einem film selten stillstand. dabei beinhalten sie sich.]

amtliche kennzeichen und gebete beim discounter. nichts gefaellt, das warten strengt an.

[ heute gestritten und in der diskothek ein maedchen gekuesst. sie hat den mund selten aufgemacht, weil sie sich zu schade war.]

[pn]