zum verrat jeder notlage



windstille. der tag beginnt im aberglauben. ich werfe den ring fuer dich in den grauen fluss hinein. das wasser lacht gnadenlos ueber das schlichte silber. gereizt versuche ich dem moment einen abschliessenden sinn zu geben, richte mich dazu innerlich auf. das erinnerungswerte wird steif, wie ein plastikkorken, abdruecke von zaehnen darauf. ein papierflaches containerschiff erscheint in der fahrrinne. ich spucke hellen schaum herunter. unbeeindruckt draengt der schiffsbug weiter wellen fort. die selbstueberschaetzung laesst mich erroeten. falsches werkzeug in den entleerten haenden. endloses ausatmen. milde fliesst ueber mein gesicht. alle muessen atmen, schrieb ich dir einst. atmen trotz treibender zungenschlaege. trotz rechnungen. trotz krankheit, trotz absichtslosem warten. trotz frustration, die moeglichst schnell verschluckt wird. nein, wir duerfen vielmehr. der brustkorb hebt und senkt sich staendig, selbst das luftanhalten ist willensschwach. unheimlich, dass der koerper eigenstaendig handelt. ich bewohne mich selbst und kenne dabei wenig raeume. die langen spaziergaenge auf den fluren verwirren nur. assistenten uebermalen die aufgehaengten bilder und wechseln die rahmen. es kann immer nur ein kleiner teil des archivs betrachtet werden. manche leinwaende aus blei, sie bleiben deshalb lange haengen. die feuchtigkeit der luft zerstoert sie. staub wirbelt auf. wozu die schuhe muehsam ausziehen? ich habe schon so viele bilder kaputtgeschaut. touristengruppen werden von mir achtlos an den dauerbrennern durchgefuehrt, ihre eintrittsgelder eingeschmolzen. kopisten trauen sich nunmehr an neuinterpretationen. in besenkammer liegen leichen heimlich hinter samt. schwere duefte im museum taeuschen frische vor.

ich schaue auf vom quecksilberzickzack des wassers. das schiff laedt im hafen waren aus, die ich mir spaeter kaufe. als ich die bruecke verlasse empfinde ich dafuer dankbarkeit. ein leeres sicheres, aber schmerzhaft bequemes land. die gesichtsausdruecke der passanten fordern nichts ein. wir sind alle ununterscheidbar beim vorbeigehen. die zahl der inneren schauplaetze explodiert. frisch verliebte erzaehlen sich noch ausgedachte biographien der entlangstroemenden, waehrend sie auf gesponsorten parkbaenken sitzen. zumindest in einem woody allen film. spaeter ersticken sie im widerstreit des alltag. wieso habe ich loecher in den handflaechen, denke ich und stelle fest das sie intakt sind. absichten reichen nicht. handlungen entscheiden. dein ring liegt im schlick. in einigen jahren werden polizeitaucher ihn finden, auf der suche nach einer kinderleiche. das parallele ist das unheimliche, nicht die alleinige menge. vielleicht schwimmen wale gerade in die ostsee ein. keine sorge. der kopf reduziert beindruckend leistungsstark. in der innenstadt schwingen die einkaufstaschen wie uhrpendel. jemand sagt im fernsehen, dass es nicht lohnt sich dagegen zu wehren. ich schalte zu spaet ein und frage mich: wogegen? mitzugehen sei die neue art der kritik, nur aus der bewegung heraus koenne man die situationen verstehen. ich lache darueber, als ich die einkaufsstrasse entlanglaufe. schon gut, denke ich und fuehle dabei ein abartig sanftes kopfstreicheln, mit dem man kinder verdummt. gerade hier, in den hellerleuchteten eingaengen, liegt friede und anstrengung nah beieinander. ich will auch etwas fuer mein geld. die zahlen in den schaufenstern wirken wie entbloesste geschlechtsteile. die phantasie des begehrens macht sie attraktiv und anziehend, nicht der kalte anblick allein. ich zwinge mich in die beobachterperspektive zweiten grades und sehe mich selbst unauffaellig in dem leipziger allerlei aus koerpern verschwinden.

solidaritaet der wuensche, ich habe ebenfalls durst. wir sind bunt und schadenfroh. mein gehen ist nicht ziellos, es reguliert sich nur unbestaendig. es ist merkwuerdig, dass ich noch an dich denken muss, obwohl immer mehr milchglasscheiben zwischen uns geschoben werden. keine lasik wird dafuer verschwendet. ich gehe jetzt schneller, versuche die spitze einzuholen in diesem marathonlauf. ein blauer bmw erfasst mich auf der strasse, bremst schrill in meine seite. ein geraeusch, wie von einem verbrannten toast gekratzt. die huefte bricht entzwei, wo deine hand einst lag. der hals in gegenrichtung fortgerissen, die arme grob gehoben. sie drehen sich jetzt zu straff, verlassen ihre ankerpunkte folgenschwer. kein blut zu sehen, es tropt ins innere. rippen gleiten in die lunge, am herz vorbei. im flug kippt mein kopf ein dutzendmal zur seite, muskelfasern schlagen mir beulen in die haut. attrappengleich steig ich empor. das kinn schlaegt mir am ruecken auf. den gelangweilten asphalt bemale ich weissrot, schlucke zaehne dabei, ein laecheln wird mir eingeschnitten. die handgelenke splittern fein. das angeschwollene gesicht riecht nach bittermandelkonzentrat. erst hier dringt ein schmatzender laut aus mir heraus. ich denke an das aufstehen, bleibe jedoch faul liegen. heisses fliesst mir in die augen. ein zeitungsartikel ueber organspende faellt mir ein. ein quadratzentimenter haut kostet neunzig cent. was hast du auf dem ausweis ausgespart? das sentimentale herz. nein, den dominanten kopf. ich muss schnell zwinkern, beweisen das sich eine reparatur wirtschaftlich lohnt. dann sehe ich meine rechte hand, daran ein karussell aus naegellosen fingern angebracht. doppel s, doppel l. es dreht sich nicht mehr und zittert leicht. [pn]