ueber das nichtanfassen
chorgesang. der himmel kann keine trennung beibehalten, will keine ertragen. das auge rutscht beilaeufig an ihm herab. jetzt treten gestopfte trompeten hinzu. der direktor spuert die gaensehaut am ruecken, schliesst die schlichte jacke. auf dem balkon blaest ihm erneut der wind die zigarette aus. gurt schaut auf den hof. die sonne scheint schneeweiss, dass ihm die augen schmerzen, als reflektierte selbst der matte baum. april. seine beine zittern, er weiss nicht warum.schnell muss er sich setzen, senkt sich auf den holzboden. gurt will jetzt keinen stuhl. die schwerkraft soll ihn flaechig niederdruecken.im zimmer liegt der plattenspieler in der letzten rille, wird dann von einer blassen hand zurueckgelegt und ausgeschaltet. die frau sagt : ist dir wieder schwarz vor augen, harald ? gurt schweigt und zieht die luft ein. ein schatten der bruestung schneidet seine haende ab. er haelt die zigarette senkrecht, damit der rauch nicht in seine augen steigt. kurz vor dem aufblicken, stellt er sich erika vor, wie sie im zimmer selbst gerade steht. das gewicht auf beide beine aufgelagert, dann der wechsel des standbeins zum spielbein. die arme schlaff nach unten haengend. ich heisse gurt, sagt er und steht vom boden auf. ihre stimme kommt ihm naeher. das ist unser nachname, harald.
gurt sitzt in der schreibstube und ordnet seine akten. er laesst einen pagen kommen und bittet ihn einige briefe wegzubringen. erika wartet die ganze zeit im tuerrahmen und isst weintrauben von einem teller, spuckt die kerne in die hand zurueck. gurt dreht sich um, weil er bemerkt, dass er sich taeuschen muss. wie koennte sie den teller halten? die trauben sind kernlos, harald. erika sagt es, als waere sie in seinem kopf gewesen. gurt fragt, ob sie sich nicht anziehen wolle. der wagen kaeme gleich.
auf dem asphalt neben dem rapsfeld. heute schauen wir uns die anlagen an. er liest den satz nochmal und faltet die notiz beim einstecken in den mantel. erika hat sich bei ihm eingehakt. sie lacht laut und mit offenem mund. der fahrer folgt ihnen im schritttempo mit dem schwarzen daimler. der wagen blitzt satt im licht und wischt die uebergaenge, seinen eigenen rahmen, aus. gurt schirmt die augen ab. am horizont liegt die fabrikenstadt. dunkle wolken steigen in das kobaltblau. sie gehen einige kilometer am feld entlang. auf der haelfte des weges zieht erika ihre schuhe aus und geht barfuss weiter.
am eingangstor spielt eine kapelle. angstellte in unterschiedlichen raengen ziehen die huete von den koepfen. begruessungen und angedeutete verneigungen folgen. der vorsteher dulde traegt ein sonntagshemd. der kragen ist eingerissen. gurt schaut nur auf die faeden, als sie miteinander sprechen. herr direktor, wir zeigen ihnen heute alles. dulde jubelt innerlich, versucht sich zu beherrschen. er ist sehr gross, muss sich herunterbeugen. alles, herr direktor, ihre ganze schoene anlage! erika laesst sich im fond des wagens spontan die fuesse waschen. die tueren stehen offen, sie raucht und summt einen schlager dabei.an einer langen kette holt gurt eine uhr hervor. achtet genau auf den sekundenzeiger. der stereoskopische blick schwindet ihm seit langer zeit. er muss die augen neu fokussieren. punkt drei. gurt faengt an herumzubruellen. die angstellten eilen los, stellen maschine um maschine nacheinander an.verkettungen von zentrifugen arbeiten in der halle. dulde beginnt zu refererieren. jedes wort soll in seiner beschreibung gleich klingen. gleichlaut und ebenbuertig betont.
gurt hat die geschichte seiner farbrik schon hundertfach gehoert. die daten und fakten haben sich ihm eingebrannt. in der halle ist es heiss. dulde schielt beim sprechen an der uranglasmaschine vorbei nach erika, die immer nickt und fuer jede information ein laecheln ausspuckt.
gurt laesst kaltes wasser bringen und beobachtet die arbeiter an den hochoefen. dulde erklaert erika mit leiser stimme eine sonderfunktion des glasofens, bis ihre augen staunen. harald, harald, ruft sie und winkt dabei. gurt schuettelt den kopf, sie stehen so nah, dass sie sich fast beruehren koennten. zu nah zum winken, sagt er und hoert dann dulde zu. waehrend sie von halle zu halle schreiten wird die fabrik erweitert. dulde zeigt in verschiedene richtungen. gebaeude waelzen sich im selben augenblick am ende seiner fingerspitze empor,befreien sich von baugeruesten, werden von arbeitern bezogen und produzieren unaufhoerlich. ab einer bestimmen groesse muss der komplex genauso energie aufbringen, wie er verbraucht. gurt baut ein negatives perpetuum mobile, eine maschine, die die welt verschlingt. [pn]
Kategorie: erzaehlung
Schlagworte: gesellschaft, sozialromantik
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