ruebenfeld
regen laeuft an den sechs meter hohen fenstern ab. die waende holzbedeckte flaechen. dunkel lackierte maserungen sind vollstaendig darin eingeschlossen. glattpoliert reizen sie zum anfassen und darueberstreichen, als koennte so ein besseres verstaendnis entstehen. ein trugschluss, der sich immer wieder fuehren laesst. die museumsbesucher verschraenken ihre arme auf dem ruecken. kontemplative teufel. sie zwingen sich innerlich zum bremsen, bevor sie fortgerissen werden. die bilder und skulpturen zaehlen nicht. blosse ankerpunkte zum verweilen und herantreten. die meisten schweigen, fluestern fast, nur manchmal benutzen sie die stimme. echozirkel beim betrachten und vergegenwaertigen. koepfedrehen in der wellenform. all das licht, das faellt, vergeht. konsistenzpruefungen. meinungen werden fuer bereits gehandeltes getauscht. der irrglaube, dass die beurteilung eigentstaendig ist: ich kann das besser. das gerechte lachen. die neue wirklichkeit ist denjenigen zu echt, die sich nach alter glaubwuerdigkeit sehnen. nostalgie? manchmal eine doppeldeutige chance. retrospektiven liegen zu nah, dicht bei der mattscheibe. bessere televisionen. dort beliebtheitstabellen. wann schreitet aber der fortschritt selbst fort? schleifenexistenz. alltag, sagen die kollegen und haben recht kein drama daraus zu machen. da muss man schliesslich durch. den beteiligten fehlt der mut fehler zu begehen, denkt der pfleger, um sich schnell zu beschwichtigen. die lust zu scheitern ist gering. der pfleger kann es verstehen. er will auch auf die richtige seite und schaut schon immerzu herueber.
er merkt, dass er den eintritt bereits bezahlt hat. er hat vergessen seine abscheu mit der regennassen jacke in der garderobe abzugeben. das soll ihm keine ausrede sein. dies ist jetzt bloss eine freizeit. fest verschraubt. zu schade zum verschwenden. er will auftanken. im beruf wirft er gelbsuchtgetraenkte einwegskalpelle in plastikeimer. nicht die gesamte zeit.
er hat sodbrennen. kollateralschaden. im krankenhaus: einwegoperationen von einwegkoerpern. schon mal patientenkolonnen gesehen? dem kartenabreisser haengt die haut um die augenoeffnungen herunter. der pfleger kennt den namen dieses geburtsfehlers nicht. er aergert sich und will es bei gelegenheit nachschlagen.
letzte woche haben sie einer alten frau einen reissverschluss eingenaeht. der krebs fuellte sie gewissenhaft mit blut,eiter und scheisse. das gewebe hielt die taeglichen oeffnungen zur bauchspuelung nicht aus. jeder mensch ist einzigartig. schlagartiges zitat. der pfleger lacht vor dem naechsten austellungsstueck. nicht ueber die antiquitaet, sondern bewusst ueber die fussbodenfugen davor. er will sich staendig zuvorkommen, um den zufall zu verwirren.
die angehoerigen im krankenhaus sahen die liebe oma immer nur bis zum hals mit weissgewaschener bettwaesche zugedeckt. sie liegt im koma, sagten die aerzte. oma schlaeft, sagten die enkel. und sie lebt. hurra. volle wucht. wir tragen unsere leichen bereits mit uns, denkt der pfleger ploetzlich. langweilt der kampf mit uns selbst, hacken wir die anderen klein. ein gemaelde laesst ihm doch noch die gedanken stolpern.
der pfleger laesst dies auessert ungern zu. es gibt kein ausserhalb. chirurgen rauchen oft schwarz und kette. na und? das nie endende probieren aller situationen macht die zunge muede. mal fuer fuenf minuten die fresse halten. zeilensprung um zeilensprung. erst tatsaechlich erlebtes laesst sich erheblich wiederkauen. der pfleger denkt nicht gerne nach. stagnation legt sich um ihn wie eine ungeschickte liebhaberin. statt kokonehrfurcht muss jedoch beleidigt werden. die bequemlichkeit siegt jetzt. feinaufgeloeste datenstroeme. bildschirmdurst, statt firstlifeverrecken. digitale slums mit blattgold im trinkwasser. langsam,langsam mit den jungen pferden! wer sich so verhaelt kann weder rechnen, noch mit geld umgehen.
der naechste hohe mattgraue betonraum. in den glaskaesten sind echte christliche reliquien aufgebaut. bruchstuecke der dornenkrone in einem prunkvollen goldschrein. daneben ein stueck vom kreuz. bitte nicht beschaedigen. es ist unangenehn, dass der raum, den diese gegenstaende einnehmen, selbst schon eine erwartung ist. hiervor wird jedoch nicht gekniet. weder innen noch aussen. stattdessen aseptisch gewartet. das christentum ist eine wartende maschine, denkt der pfleger. was wird jesus sagen, wenn er wiederkommt und alle diese kreuzanhaenger um die haelse baumeln? hoffentlich versteht er es nicht falsch.
der pfleger beobachtet die anwesenden, die dicht bei den vitrinen stehen. schliesslich wird suchend darum gekreist. erst dumm, dann richtig. aufenthaltsgravitation, bis zum ende der oeffnungszeiten. dieser glaube im kopf muss ernsthaft gefallen, um zu wirken. abseits davon ein potential fuer eine abgenutzte erinnerung, daneben rezeptoren fuer die erkenntnis eine augenblicksvorstellung zu besitzen. die zeit schiebt gleichzeitig alles unvorhersehbar voran. es gibt hier keine energiekrise.
der pfleger sitzt jetzt auf einem hellbraunen lederquader. er sieht die raumaufsicht regungslos in der ecke stehen. jede halbe stunde tauschen die wachen die raeume. diese summe aus sich ueberschneidenden parallelogrammen erzeugt in dem pfleger kopfschmerzen. der betrachter verdirbt jeden ort mit seiner anwesenheit. in diesem moment durchschreitet der museumsangstellte die halle, mit der absicht dem pfleger zu sagen, dass dessen kopfschmerzen fuer ihn irrelevant sind und es bleiben werden. [pn]
Kategorie: erzaehlung
Schlagworte: dystopie
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