marlene dietrich an der front
nahe der stadt nancy, der jeep saegt sich den huegel hinauf. dietrich haelt den kopf nach unten, das gesicht gegen die knie, die zaehne aufeinander. bei jedem erdloch hat sie angst blaue flecke auf das porzellan zu bekommen.die wollen nur zehn minuten ablenkung, sagte der von der armee, wenn die dietrich bei den jungs ist, kann es nicht so schlimm bestellt sein. grelle faustschlaege um das fahrzeug, es faehrt scheinbar im kreis. die tuer wird geoeffnet, selbst aus dieser schutzhaltung entsteigt die grosse frau, wie aus einer maerchenkutsche. schlanke stiefel aus kalbsleder treten auf dunkelgruenes moos. in der baracke ist es dunkel, zwei GIs halten wunderkerzen und eine flasche in der hand. der vorgesetzte zoegert, er weiss nicht, wie er sie begruessen soll. marlene trinkt zwei glaeser calvados auf leeren magen, uebergibt sich auf der toilette. das erste lied singt sie leise, ein akkordeonspieler begleitet sie. die maenner schauen durch sie hindurch, unrasiert. beim zweiten lied breitet sie ihre stimme aus, ein nachtvogel hat sich im tarnnetz zwischen den baeumen verfangen, bricht mit seinem geschrei hinein. sein fluegelschlag ist aufgebracht und trocken. schichtwechsel, die eintretenden sehen als erstes die zusammengebundenen haare der frau. eine frau. die dietrich beherrscht sich grosse bewegungen zu machen, sie kann nur einen teil der hoffnungen wecken. wer von ihnen ist selbst musiker oder poet? wer ist es nicht, der hier auch sterben wird. in diesem augenblick geht das licht ganz aus. jemand stoesst ihr einen finger in den ruecken. sie zuckt zusammen, wird hinausgezogen. am horizont sieht sie bunte kurze blitze und wundert sich ueber die ruhe. der offizier, der ihren arm haelt, sagt , dass diese uhrzeit nachtruhe heisst, selbst die haubitzen schlafen dann fuer eine stunde. sie gehen zum naechsten unterstand, im orangen himmel steht ein aufgetuermter cumulus.
die dietrich singt das naechste lied, die flasche calvados haelt der offizier hinter dem ruecken bereit. wenn ich gefangen werde, sagte marlene dietrich vor dem abflug, dann glauben sie nicht, was ich im radio sage. die zwingen mich dazu. davor und nicht vor dem tod, habe ich angst. der general oder sonstwer gibt ihr eine kleine pistole, nur symbolisch. die soldaten zwaengen sich zusammen, die dietrich steht in einem kreis voll sehnsucht nach ruhe. jeder moerder wird im krieg gesund. ein mann macht sich die zigarette heiss, gestern hats dem freund die lippen ausgerissen. solche kuesse hat die saengerin noch nicht gesehen. sie strengt sich an nicht wie ein eindringling zu wirken, sie bleibt drei tage, das sollen die soldaten nicht sehen, die staendig stahl umarmen. sich haende verbrennen am heissgeschossenen gewehr. sie wollen alles klar und deutlich sehen, jetzt die frau mit langen haaren, morgen den feind im birkenwald. infantrie, heutzutage ohne trommler und stolze pferde. draussen wird gehupt, das rote kreuz ist da, die toten aufzusammeln. leuchtraketen von beiden seiten markieren die waffenruhe fuer eine stunde. die dietrich raucht eine zigarette, spuckt die tabakkruemel auf den boden. sie sah hundert zuendhoelzer, die ihr hingehalten wurden. sie gab sich selbst feuer, um niemanden zu kraenken. tragen und helfer laufen fuer sie durcheinander. als sie sieht, dass zwei maenner am huegelrand mit fernstechern stehen und in feindesrichtung schauen, hat sie eine idee. die folgenden dreissig minuten legt sich ihre stimme ueber das feld und dringt bis zu den deutschen. es hallen mehrere schuesse der bestaetigung, als sie lili marlen singt. auch hier auf der anderen seite sammeln die soldaten ihre koerper wieder auf und denken an einen anderen ort. [pn]
Kategorie: erzaehlung
Schlagworte: gewalt
Kommentare: Kommentar hinterlassen ↓   zum seitenanfang springen ↑