antikrimi



dies ist die beste aller moeglichen welten, sagt der dealer, als wir durch das birkenwaeldchen zum depot gehen. selbst unter seiner kapuze scheint er sich fuer die mediengerechte hornbrille zu schaemen, die er tage zuvor von seiner schwester geschenkt bekommen hat. die buergerliche veraengstigung amuesiert mich. ich sehe jedoch nur manchmal teile seiner gesichtsplatte, er dreht den kopf oft zu den seiten, um im geist nach markierten baeumen zu suchen. mein blick in die kronen wirkt wie eine hollywood vietnam postkarte, spaete nebel drehen sich dort oben. weisser atem auch vor uns, als rauchten wir staendig. ich beisse die rissigen zaehne aufeinander. sie fuehlen sich sandig an. belz hat einen schweren ast aufgehoben und beginnt abwesend die gabelungen abzubrechen. meine haende in den hosentaschen kommen mir ploetzlich nutzlos vor.

als wir den waldweg verlassen schaltet er das mitgebrachte radio aus. tragbares privates, sagt der dealer, das ist die grosse gegenwart! erst jetzt sehe ich, dass er mit einem gps-geraet navigiert. jeder ist heute steuermann. ich verurteile ihn nicht. ich war auch nie bei den pfadfindern. vergeblich versuche ich mich an die moosregel zu erinnern, mit der man die himmelsrichtung feststellen kann. faustregel, daumenregel. durchschnitt. bolz schleudert den ast ins dickicht hinein. mir ist schlecht. ich frage mich, ob wir den wagen vorhin wirklich abgeschlossen haben, aergere mich ueber die zurueckgelassene wasserflasche.

natuerliche knallteufel. unsere schuhe treten auf hartgefrorene erdstuecke, die sich knackend oeffnen und weiches inneres entlassen. anscheinend hat alles eine oberflaeche. der dealer erzaehlt jetzt etwas ueber die letzte documenta. von der renaissance gottes und falscher befangenheit vor sich selbst. er ist toleranzmuede, wie so viele unserer generation. wenn es nach ihm ginge, wuerde er sich am haertesten bestrafen. ohne zu wissen, was er bereits geschluckt hat, fuehle ich trotzdem ekel vor seiner falschen euphorie in mir aufsteigen. ich kann nur noch an die packung denken und krieche deshalb in mich zurueck, ziehe dabei die tuer lautlos zu. immerhin hat belz aufgehoert sich staendig das gesicht zu reiben. seine telefone klingeln im minutentakt. er drueckt die kunden immer wieder weg. ich muss an schlaeger denken, die opfer von sich schubsen und dabei komm her! schreien.

waldgeraeusche durch temperaturwechsel. the sound of nature, wie belz sagt. wir graben abwechselnd mit blossen haenden und teilen uns die letzte zigarette dabei. der dealer hat vergessen, wie tief der stoff liegt. als mensch ist er sich seiner staendig bewusst. seine koerperhaltung wirkt immer gestellt. belz raucht die kippe nass, rueckt sich die brille auf die nase zurueck. eine unangenehme hektik liegt in der szene. unter meinen fingernaegeln wird es kalt. ausser einem tristen ohrwurm ist mein kopf leer.

nachdem wir uns ein briefchen geteilt haben, schweigen wir erwartungsgemaess. belz wirft portionen in seinen rucksack. er merkt nicht, dass er duemmlich summt. wir verwischen das loch und gehen weiter. auf einer lichtung finden wir abgeschnittene baumstaemme, die mit neonmarkierungen uebersaeht sind. holzfaellergeheimnisse. fuer alles gibt es eine subkultur. ich habe lust zu lachen, schaffe es aber nicht richtig. wir setzen uns, finden jedoch nichts zum zuruecksinken. die staemme sind zu glitschig und zu rund. ich hasse es high zu sein. die gefuehle und ideen stroemen in mich zurueck. einerseits und andererseits. dampf steigt vom waldboden. ein passendes bild fuer meine lebensvermutungen. in entfernung hoere ich eine unsichtbare autobahn. belz richtet beim gehen die schultern auf. ein arm haengt schlaff an ihm herab.

der dealer zeigt mir seine verklemmte faust. die finger haben sich tief ins fleisch der handflaeche gebohrt. belz lacht und sagt, dass er epileptiker ist. einbeinig balanciert er jetzt im gruen und fischt aus seiner jacke etwas pulver heraus, um es auf die wunde zu streuen. wunde, fragt er, oder wunder ? ich schwitze. belz beginnt mich zu stoeren, gleichzeitig habe ich mitleid mit ihm. ich sollte mir diesen trost eigentlich fuer mich selbst aufsparen, denke ich. das gehen tut wieder gut, obwohl es mich vor augenblicken langweilte. der dealer ist aus meiner sicht verschwunden.

als ich ihn wiederfinde, steht er am rand einer illegalen muellkippe. dutzende plastiktueten liegen zwischen halbgeoffneten kuehlschraenken, zerissenen einkaufswagen und buntem glas. es raschelt vor ratten. die sonne ueber uns ist ruhig geworden. belz steht ebenfalls atypisch still vor einigen kleidungsstuecken, die im dreck liegen. es macht mich nervoes soetwas zu finden, sagt er, ohne sich umzudrehen. gut. ich koennte sein gesicht jetzt sowieso nicht ertragen. irgendwie bin ich erleichtert. wenigstens bringt ihn seine angst noch zum schweigen. aufgeweichte werbeprospekte bedecken den boden. ich frage belz, ob er manchmal eine der lachenden personen darin sein moechte. nein.

lass uns gehen, bevor wir hier noch einen toten finden, sagt belz. schaum klebt in seinen mundwinkeln. sein drogenrucksack wirkt jetzt wie ein schultornister. ich sehe belz mutter foermlich im kuechenfenster stehen und ihm hinterherschauen. manchmal vergisst sie seine brote einzupacken und laeuft dann auf die strasse hinaus. es ist belz damals peinlich. heute denkt er nicht daran.

meine beine sind im stehen eingeschlafen. der dealer setzt sich stumm auf seine eigenen hacken. er hat stressschatten im gesicht, bereitet deshalb eine frische portion vor. eine sehnsucht nach bedingungsloser wirklichkeit beginnt in mir zu wachsen. ich sehe mich bereits klar und deutlich bei zukuenftigen richtigen handlungen, waehrend ich es gleichzeitig verstehe fehlern geschickt aus dem weg zu gehen. es ist doch alles recht einfach. in vorbereitung auf den lichtdurchlaessigen neubeginn schaue ich auf mein telefon, um erst einmal den wochentag zu erinnern. ein duesenjaeger zerkratzt ueber uns den himmel. der dealer reisst sofort den kopf nach oben und will beinah einsteigen. ich habe das starke gefuehl bereits an diesem ort gewesen zu sein. als ich belz gaehnend beruhigen will, erkenne ich hinter ihm, unter blauen muellsaecken, einen fahlen duennen koerper. gleich sage ich es belz und werde mit dem finger darauf zeigen. [pn]